Ich dachte noch „Ganz in der Nähe dieses HLM müsste es doch eigentlich liegen…“, als mir bewusst wurde: DAS IST ES !?! Au weiha – ich suchte Bauhaus und fand die Tristesse von Gursky’s Montparnasse?
Um das Happy End vorwegzunehmen: Ich liebte es – nachdem ich die Führung mitgemacht hatte und erfuhr mit welchem Anspruch und mit welch wundervollen Details Le Corbusier seine „strahlende Stadt“ gebaut hat. Es entstand ein außergewöhnliches Gebäude, das in vielerlei Hinsicht an ein Kreuzfahrtschiff erinnert.
Überblick
- Als Projekt des sozialen Wohnungsbaus von 1947 bis 1952 gebaut (im Auftrag des Ministeriums für Wiederaufbau);
- Eine große Anzahl Bewohner sollte untergebracht werden, der Charakter eines Dorfes sollte erzielt werden, welches aus Platzmangel in die Vertikale gebaut wurde – mit Straßen, Geschäften, Kindergarten, Schwimmbad, Turnhalle, ÖPNV in Form von Aufzügen
- Seit 1995 Monument historique
- Seit 17.07.2016 UN-Weltkulturerbe
- 337 Maisonette-Wohnungen für 1.000 Bewohner
- Standardwohnungen von Typ A (16 m2) bis Typ H (203 m2)
- Zu avantgardistisch für die gedachte Klientel, diese war bei den Wohnungsbesichtigungen klar überfordert und hatte kein Interesse, derartige Wohnungen zu beziehen
- 1954 traf der französische Staat dann die Entscheidung, die Wohnungen zu verkaufen, es entstand eine Wohn-Kooperative
Die Idee
- Individuell (wie im eigenen Haus) wohnen, aber in der Gemeinschaft, d.h. es gibt Rückzugsorte, aber auch Gemeinschaftsflächen (eine heute wieder aufgegriffene Idee)
- Aus diesem Grund sind im Hause verschiedene Orte als explizite Treffpunkte vorgesehen, die durchweg hell gestaltet sind:
- Die Eingangshalle: Hier gab es Toiletten, bis vor kurzem noch eine Telefonkabine, einen Zeitungskiosk, den einstmals offenen Empfangstresen, Bänke zum Verweilen
- Die Maternelle (Kindergarten), der Pausenhof des Kindergartens befindet sich auf dem Dach.
- Kinosaal, Bibliothek
- Die Dachterrasse
- Die Ladenzeile
Die Wohneinheiten
Die Wohnungen sind ineinander verschachtelt gebaut – es gibt die „Supérieur“-Wohnungen, bei denen man von der Eintrittsebene nach oben in die 2. Etage gelangt, sowie die „Inférieur“-Wohnungen, bei denen man eine Etage hinabsteigen muss. Die nicht in der Zugangsebene gelegene Wohnungsebene durchmisst das komplette Gebäude.
Im Zugangsbereich nimmt die Wohnung daher nur knapp die halbe Stockwerksbreite ein, in der zweiten Ebene dann jedoch die gesamte Breite.
Traversale: Die Wohnungen erhalten jeweils aus 2 Richtungen Licht, da sie einmal das Gebäude durchkreuzen – in einem Geschoss die ganze Stockwerksbreite einnehmend, im anderen knapp die Hälfte, mit Anschluss an den Erschließungsgang. Ein solcher war nur in jedem dritten Stockwerk nötig.
In ein Skelett aus Stahlbeton wurden die Wohneinheiten wie Sperrholz-Kisten in ein Weinregal geschoben. In die Hohlräume zwischen den Wohneinheiten wurde Glaswolle eingebracht – diese Einzelaufhängung hat eine schallisolierende Wirkung: Man versicherte uns, dass man praktisch nichts vom Nachbarn mitbekommt.
Bei der zu besichtigenden Wohneinheit handelt es sich um eine „Supérieur“-Wohnung des Typs E S2 mit 98 m².
Die Ladenzeile
Um seinem Anspruch als vertikales Dorf gerecht zu werden, plante Le Corbusier in der 3./4. Etage eine Ladenzeile ein. In dieser befanden sich bis 1970 eine Bäckerei, Fleischerei, Fischhändler, Obst-/Gemüsehändler, Epicerie, Traiteur, Friseur, Wäscherei…. also praktisch alles, was man zum täglichen Leben benötigte. Heute gibt es zwar noch eine kleine Konditorei, ansonsten haben sich in den Ladenlokalen jedoch freie Berufe (Architekten, Designer, Experten) angesiedelt.
Ein Hotel gehörte auch zur Kooperative, die Bewohner sollten es selbst nutzen z.B. für Gäste; es wurde jedoch nicht ausreichend genutzt, war letztlich zu teuer für die Bewohner und wird nun privatwirtschaftlich betrieben.
Die Dachterrasse
La Cité Radieuse ist ein begehrtes Wohnobjekt mit einer gut durchmischten Altersstruktur der Mieter: Es gibt alleinstehende Ältere, aber auch junge Familien mit Kindern. Ein großer Teil der Mieter nimmt an gemeinsamen Veranstaltungen – z.B. Theateraufführungen auf der Dachterrasse – teil.